Auszüge aus Wikipedia:
Der christliche Antijudaismus
Dieser entstand seit 70 n. Chr. mit dem Christentum. Religiöse Deutungsmuster wie der "Christus-" bzw. "Gottesmord", der allen Juden Schuld am Tod Jesu gab, und die "Enterbung" des Volkes Gottes zu Gunsten der Kirche dienten anfangs der Selbstbehauptung einer jüdischen Minderheit in Israel. Sie wurden von der heidenchristlichen Mehrheit übernommen und seit 380 in eine Staatsreligion mit universalem Herrschaftsanspruch integriert.
Im Mittelalter nahm die antijüdische Kirchenpolitik Züge einer systematischen Verfolgung an. Juden wurden nach erfolglosen Missionsversuchen zwangsgetauft, später ghettoisiert und dämonisiert. Im Kontext von sozialen Missständen, Kreuzzügen und Pest führte der Aberglaube häufig zu Massakern (Pogromen) an Juden. Martin Luther empfahl 1543 in seiner Schrift "Von den jüden und iren lügen" die Ausweisung der Juden, Arbeitszwang und Verbot ihrer Religionsausübung.
Die religiöse Judenfeindschaft bestimmte Theologie und Politik im christlichen Abendland bis zur Aufklärung und darüber hinaus. Sie prägt die Volksfrömmigkeit bis in die Gegenwart hinein.
Die Ausbildung der antijudaistischen Theologie
Die antike Judenfeindschaft war sporadisch, örtlich begrenzt und - bis auf die ägyptische, von Römern übernommene Anti-Exodus-Linie - inoffiziell. Der christliche Antijudaismus jedoch bildete bis zur Konstantinischen Wende eine in sich konsistente Ideologie heraus. Diese wurde von der ganzen Reichskirche dauerhaft vertreten, offiziell geschürt und untermauert: auch dort, wo es gar keine Juden gab.
Diese antijudaistische Theologie begann im Neuen Testament (R. Ruether). Sie verfestigte die innerjüdische Sektenpolemik, die es ähnlich auch bei Juden gab (Qumran, Talmud).
Die christlichen Missionare zogen durchweg Schriftbeweise heran, um Jesus als Messias zu verkünden: Ihre Adressaten waren zuerst Juden, die mit "gottesfürchtigen" Heiden im Raum der hellenistischen Handelsstädte zusammenlebten. Diese indirekte Heidenmission war nicht zwangsläufig antijüdisch.
Im Zuge der Gewinnung oberer Gesellschaftsschichten aber übernahmen sie die antijüdische Propaganda der antiken Autoren und stellten sie auf eine neue Basis: die Auslegung der Bibel und eine "historische" Beweisführung. Das gab es vorher nicht.
Aus dem urchristlichen Credo "Jesus ist der Messias" folgerten die christlichen Theologen im 2. Jahrhundert durchweg:
* Die Kirche ist das wahre Israel,
* das jüdische Gesetz ist überholt, ungültig, nur noch allegorisch anwendbar
* das Judentum erbte Fluch, Gericht und Verwerfung, die Christen dagegen die Bundesschlüsse und Verheißungen des Alten Testaments.
Der Barnabasbrief zeigt, wie die Christen die Bibel für sich vereinnahmten, um Jesu Messianität zu beweisen. Die "Testimonia" (Zeugnisse) von auf Christus gedeuteten Bibelstellen verbanden damit, dass das Judentum nur noch falsche Lehre vertrat. Damit begann die christliche Adversos-Judaios-Literatur (Latein: "gegen die Juden").
So "bewies" Eusebius von Cäsarea in seiner Kirchengeschichte (Buch 2, Kapitel 6): Juden waren Gott immer ungehorsam - sie fielen vom älteren, reinen Glauben der "Hebräer" (Abraham) ab - Moses versuchte vergeblich, sie durch den "Fluch" des Gesetzes dorthin zurück zu führen - die Elite der Hebräer (= Propheten) tadelte sie fortlaufend und sagte ihren Untergang voraus, falls sie auch den Messias verwerfen würden - das taten sie aber - darum verloren sie den Tempel - Christen sind die rechtmäßigen Erben des wahren Hebräerglaubens - Christus selbst verbreitet den Ausschluss Israels über die ganze Welt - Niederlagen, Leiden und Zwietracht des Judentums sind Folgen seiner Schuld am Tod Christi : "So überwältigte die göttliche Vergeltung die Juden für die Verbrechen, die sie an Christus gewagt hatten zu begehen."
Dieses typische christliche Judenbild operierte mit bewusster Geschichtsfälschung. Es führte Kirche und Israel auf zweierlei Abstammung zurück, verteilt Gericht und Heil, Fluch und Gnade auf verschiedene "Völker", kennt Juden nur als Abtrünnige, Rebellen, Feinde Gottes. Es "enteignete" so das ganze Judentum religiös. Demgemäß führte die kirchliche Theologie das Leiden der Juden unter den christianisierten Völkern später auf ihr "Verbrechen an Gott" zurück und machte sie zum "Sündenbock" für alles mögliche Unglück. Hier liegt eine Wurzel für die Exzesse im 1. Kreuzzug und den späteren neuzeitlichen Antisemitismus.
Im Zentrum steht der Vorwurf: Ganz Israel habe Jesus abgelehnt; sei an seinem Tod Schuld (vgl. 1. Thessalonicher 2,15 (
http://www.bibel-online.net/buch/52.1-thessalonicher/2.html#2,15); Apostelgeschichte 2,23 (
http://www.bibel-online.net/buch/44.apostel/2.html#2,23); Jakobus 5,6 (
http://www.bibel-online.net/buch/59.jakobus/5.html#5,6)), habe mit ihm Gott selbst getötet; und damit für alle Zeit Gottes Fluch auf sich gezogen. Diese Verknüpfung bahnt sich schon in den Evangelien an. Dass Jesu Tod Gottes ewiger Wille war, dass er gerade so diesen Fluch ein für allemal in Gnade für ganz Israel verwandelt hat und seine Jünger alle Juden waren, wird hierbei stets übergangen.
Nachbiblisch der "Gottesmord" tauchte explizit erstmals bei Melito von Sardes auf (um 190). Johannes Chrysostomos folgerte in seinen 8 antijüdischen Sermonen daraus einen kriminellen Charakter aller Juden. Gregor von Nyssa zog eine kaum zu überbietende Bilanz: Die Juden seien "Gottesmörder, Prophetentöter, Streiter wider Gott, Gotthasser, Gesetzesbrecher, Feinde der Gnade, vom Glauben der Väter abgefallen, Advokaten des Teufels, Schlangenbrut, Denunzianten, Verleumder, Heuchler, Hefe der Pharisäer, Satanssynagoge, Feinde des Menschengeschlechts, Mörder."
Diese Liste enthält alle damaligen Vorwürfe. Sie waren im 4. Jahrhundert bereits christliches Allgemeingut. Sie wurden auch von Theologen wie Origenes vertreten, die im Alltag mit Juden befreundet waren und sie gegen Römer in Schutz nahmen ("Contra Celsum"). Sie wurden ausschließlich religiös, nicht ökonomisch oder politisch begründet. Dort, wo Christen und Juden in derselben Minderheitssituation waren - beispielsweise in Persien - fehlten sie. In Europa aber wurden sie integraler Bestandteil der Dogmatik der Alten Kirche.
Obwohl keiner der Kirchenväter ausdrücklich dazu aufrief, rechtfertigten alle die Judenausgrenzung, die später in Judenverfolgung mündete. Viele von ihnen sprach die katholische Kirche später heilig. Erst seit den letzten Jahrzehnten wird ihre durchgängig antijudaistische Haltung problematisiert.
Typische antijudaistische Klischees im Christentum
Die einfache Bevölkerung war von theologischen Fragen kaum berührt und mit ihren Existenzsorgen befasst. Der katastrophale Bildungsgrad im Mittelalter - an die 90% waren Analphabeten -, die von Endzeitfantasien und Aberglauben durchsetzte Frömmigkeit bildete den Nährboden für ein Konglomerat verschiedener tiefverwurzelter Vorurteile gegen Juden.
In mittelalterlichen Schriften, Bildern, Skulpturen, Schnitzfiguren, Kirchenfenstern finden sich eine Reihe typischer, immer wiederkehrender antijüdischer Motive, die mit den bei Luther versammelten Stereotypen übereinstimmen:
* "Die Juden sind Christus- oder Gottesmörder."
Dieses religiöse Motiv entstand, nachdem die meisten Juden in Israel Jesus nicht als Messias anerkannt hatten. Daraufhin machten schon die Christen der 2. Generation sie kollektiv für den Tod des "Sohnes Gottes" haftbar (Mk 14,64 (
http://www.bibel-online.net/buch/41.markus/14.html#14,64); 15,14 (
http://www.bibel-online.net/buch/41.markus/15.html#15,14).32 (
http://www.bibel-online.net/buch/41.markus/15.html#15,32); Lk 23,18 (
http://www.bibel-online.net/buch/42.lukas/23.html#23,18); Joh 19,7 (
http://www.bibel-online.net/buch/43.johannes/19.html#19,7)). Sie verbanden ihren Antijudaismus also mit dem Zentrum der christlichen Heilsbotschaft.
Der Christusmord zog sich durch die Theologie der Kirchenväter, der Scholastiker, auch der Reformatoren wie ein roter Faden. Mit ihm waren die übrigen Motive der Enterbung des Gottesvolks und Ersetzung durch die Kirche (Mk 12,7-9) (
http://www.bibel-online.net/buch/41.markus/12.html#12,7) und des ewigen Fluchs (Mt 27,25) (
http://www.bibel-online.net/buch/40.matthaeus/27.html#27,25) verknüpft: Jüdisches Leiden wurde als Strafe Gottes für Jesu Ablehnung gedeutet. Christliche Mitschuld daran wurde auf sie zurückprojiziert. Das lehrte die alleinherrschende Kirche ständig, so dass es bei Bedarf zur Kanalisierung von Neid, Wut und Hass gegen Juden benutzt werden konnte.
Jesu Tod erinnerte die Heidenkirche an ihren jüdischen Ursprung: Der wehrlos gekreuzigte Jude zeigte unübersehbar die Unvereinbarkeit von Glaube und Macht. Darum wurden seine Züge seit Konstantin I. aus dem Bild des "Christus Triumphator" getilgt. Erst Luther entdeckte in Jesu Kreuz wieder den einzigen Glaubensgrund, so dass er Kirche und politische Macht strikt zu trennen suchte. Doch auch er trennte "Gesetz" und "Evangelium" so voneinander, dass das Judentum nur noch Beispiel des tödlichen Gerichtsfluchs sein konnte.
* "Die Juden sind heimtückische Verbrecher ('Satanisten')."
Dieses Kriminalmotiv war mit dem Gottesmord-Motiv eng verwandt und aus ihm abgeleitet. Wer Gottes Sohn ablehnte, konnte nur vom Teufel sein und Verbrechen an guten Seelen planen. Im Mittelalter kam das Rachemotiv hinzu: Juden üben mit hinterhältigen Verbrechen "Rache" an den Christen.
In Wahrheit rächten sich die Christen für die erfolglose Zwangsbekehrung der Juden, indem sie uralte Klischees einer religiösen Kriminalität auf sie projizierten:
*
o Brunnen vergiften,
o Kinder entführen,
o Ritualmorde,
o Hostien schänden u.ä.
Derartige Verbrechen unterstellte die römische Propaganda bis 313 den Christen, um sie als "Feinde des Menschengeschlechts" zu verfolgen. Christliche Theologen nahmen diese Polemik dann auf und wendeten sie gegen die Juden: Als Gottesmördern war ihnen auch sonst jedes erdenkliche Verbrechen zuzutrauen.