Als Kind einer alleinerziehenden Mutter, die drei Jobs haben muss, um gerade so ihre miete zu bezahlen, kann man schon mal wütend werden. Wütend darauf, wenig eigenes zu besitzen. Wütend darauf, derjenige mit den letzten Mistklamotten zu sein. Wütend auf sein Leben und den nicht vorhandenen Möglichkeiten.
Ich bin 13 Jahre alt und die Freundin, in die ich heimlich und hoffnungslos verknallt bin, zeigt mir einen Song ihrer neuen CD. Es war die Nummer 5 und ich war hin und weg. Der Rest des Albums hat mich tatsächlich nicht interessiert, Song 5 lief zwei Stunden lang in Dauerschleife. Das Stück namens "Crawling" sprach mir aus der Seele. Warum ich den Rest erst nicht hören wollte, kann ich nicht sagen. Ich wollte Crawling auch das zwanzigste mal in Folge hören. Dann wieder und wieder.
Es dauerte aber nicht lange, bis mein Bruder mir bei seinem Besuch (aufgewachsen beim Erzeuger) eine Maxi CD mit den Worten "kannste haben, ist scheiße" hingeworfen hat. Es war "In the End" und für mich wie ein Album. Ein drei Songs starkes Album. Song zwei war eine Liveversion von "A Place for my Head" und ein zweites mal war ich verliebt.
Dann fuhr der Hypetrain los. Laut, wild, aggressiv, Linkin Park und nie wieder etwas anderes. Sie waren ein Ventil für alles, was mich angekotzt hat. Sollen die anderen ihrem Radiodreck hören, ich bin anders, ich spüre die echten Gefühle. LP war viel mehr als eine Band, es war zeitweise mein Leben.
Für "Meteora" stand ich noch vor Eröffnung vorm Elektronikmarkt meines vertrauens und rannte bei Öffnung als erster und auch einziger in den Laden. CD in die Hand, bereit wieder tief in der Seele berührt zu werden. Und so war es auch, LP bestätigten mich und taten das, was ich mir von ihnen erhofft hatte. Und da war nicht nur ich, wir waren viele und das war richtig und gut so.
2007 stand ich dann endlich vor meinem ersten Rock im Park und auch vor meinem ersten Konzert von LP. Einen Monat vorher brachte die Band "Minutes to Midnight" heraus und nie wieder war ich in meinem musikalischen Leben so enttäuscht gewesen. Die Platte war in meinen Augen eine Farce, eine Anbiederung an das Radio, an die Welt, an jeden da draußen. Ich wollte nicht, dass es so ist. Die Band war mein Savespace, nicht der der Masse. Mein Kumpel rief mich schockiert und leicht angeekelt an, dass er gerade LP im Radio gehört hätte. Wie konnte das denn sein? Rückblickend betrachtet ist das ein gutes Album, doch das, für was LP in meinem Leben stand, war mehr als nur angekratzt.
Dann das erste Konzert. Aufgeregt standen wir in der ersten Reihe und das Intro schwenkt in "One Step Closer" um. Es war perfekt, alles war vergessen, alles war gut. Irgendwie fand ich an diesem Abend meinen Frieden damit...
...bis "A Thousand Suns" um die Ecke kam. Hier hat LP mich verloren. Nicht als Fan oder Liebhaber, nein, als das, was sie immer in mir ausgelöst hatten. Einzelne Songs waren trotz allem gut. Ein "Wretches and Kings" bringt mir meine Band nicht zurück, und doch wertschätzte ich Stücke wie dieses.
"Living Things" nahm ich fast stoisch zur Kenntnis und auch hier gab es einzelne Lichtblicke. Nicht Fisch, nicht Fleisch, ein wenig Radio, ein wenig für die Fans. Es war ok, mehr nicht. Trotz allem habe ich die Band -auch hier im Forum- immer wieder bis aufs Blut verteidigt.
Im Jahr 2014 dann die große Überraschung. "The Hunting Party" erblickt das Licht der Welt und ein LP wie ich es mir immer gewünscht hatte, ging an den Start. Locker auf Platz 3 meiner persönlichen Rangliste, der für mich würdige, moderne Nachfolger zu Meteora, nur zehn Jahre und drei Alben zu spät. Die Masse sah das nicht so, trotz des Radiosongs "Final Masquerade". Es kam in der Breite nur mittelmäßig an und ich freute mich extrem darüber. "Rebellion, War, Keys to the Kingdom, a Line in the Sand." Was für ein Album, nur eben ein paar Jahre zu spät. Das hätte ein modernes LP für mich sein können. Die Wut muss bei Millionären nicht mehr da sein, das verstehe ich. Doch die Aggressivität war da, das Wagnis war da, die Härte war da. Ich liebe dieses Album bis heute und es ist eine Frechheit, dass
@Alphawolf es bei seiner ansonsten sehr nachvollziehbaren und guten Erläuterung auslässt.
"One More Light" war dann noch der Schlag ins Gesicht, ehe Chester kurz danach klar machte, warum er dieses Album so schrieb und durchbrachte.